Leitartikel aus unserem Gemeindebrief September/Oktober 2024 von Joachim Möller
Der Monatsspruch für September 2024 aus Jeremia 23, 23 lautet:
„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, schreit Jesus am Kreuz. Wie furchtbar muss das gewesen sein! Keiner hatte Gottes Nähe so intensiv erlebt wie Jesus, und keiner hätte seine Nähe in dieser schrecklichen Situation nötiger gehabt als er. Wer Gottes Nähe nicht erlebt hat, empfindet die Gottesferne sicher auch nicht so schmerzlich. Vermutlich haben viele Menschen, die sich Kinder Gottes nennen, schon beides erfahren, die heilsame, Mut machende und frohmachende Nähe Gottes, aber vielleicht auch Zeiten der existentiellen Fragen, der Verunsicherung und der Enttäuschung über eine empfundene Gottesferne.
Jeremias Auftrag besteht im Wesentlichen darin, den Israeliten des Südreiches deutlich zu machen, dass eine dramatische Zeit der Gottesferne, der Zerstörung des Tempels und der Deportation nach Babylon droht. Sie glauben zwar, dass sie Gott nahe sind, weil sie den Tempel haben, aber ihr Lebenswandel ist von Lug, Betrug und Götzendienst geprägt, so dass Gott sich entfernt hat und sie den Feinden preisgibt. Zwar enthält Jeremias Botschaft auch immer wieder Heilsworte, aber das angekündigte Gericht erfolgt im Jahre 586 v. Chr., als der babylonische König Nebukadnezar II. Jerusalem erobert, den Tempel zerstört und einen großen Teil des Volkes nach Babylon deportiert.
Wie zeigt sich denn nun die Nähe Gottes? Das ist sicher ganz unterschiedlich. Adam und Eva haben Gott zu Beginn im Garten Eden in einer unvergleichlichen Nähe erlebt. Das wird es so in diesen Zeiten nicht mehr geben. Nach dem Sündenfall hat Gott sich distanziert, aber weiterhin um seine Menschen gekümmert. Er hat mit mehreren Persönlichkeiten Kontakt aufgenommen, sie beauftragt und geführt, wie Abraham, Mose und viele andere, vor allem die Propheten. Wie sie die Nähe Gottes erlebt haben ist uns nicht immer beschrieben, aber Gott hat viele Möglichkeiten sich den Menschen zu nähern, z. B. im Traum, durch Visionen oder durch Engel.
In Jesus Christus ist uns Gott in einer ganz neuen Form nahegekommen. Durch sein Menschwerden, durch sein Leben, Reden und Handeln hat er uns eine ganz neue Dimension des göttlichen Wesens nahegebracht, die väterliche, liebende und gnädige Seite Gottes. Und durch seinen Heiligen Geist, der uns hilft, Gottes Botschaft besser zu verstehen, können wir auch eine besondere Nähe zu Gott erfahren. Wenn wir uns darauf einlassen.
Was können wir denn tun, um Gottes Nähe zu erfahren? Gibt es bestimmte Orte, Zeiten, Rituale oder Situationen, die uns Gott näherbringen? Es gibt sicher Verhaltensweisen, die eher geeignet sind Gottes Nähe zu erfahren. Gott liebt z. B. die Stille. Wenn man sich ganz zurückzieht und sich für eine Zeit frei macht von den alltäglichen Anforderungen, ist die Wahrscheinlichkeit sicher größer Gottes Nähe zu erfahren, als in einer lauten und anstrengenden Umgebung. Es können kurze Momente oder auch längere Lebensphasen sein, in denen man sich von Gott besonders getragen, geführt und geschützt fühlt. Aber es gibt keine Garantie, keine Regel, kein Gesetz, dass man dann Gottes Nähe erfährt.
Gott ist es, der entscheidet, wie nahe er einem Menschen kommt. Er ist absolut souverän. Das wird vielleicht in der Übertragung des Monatsspruchs aus der GNB deutlich: „Ich bin nicht der nahe Gott, über den ihr verfügen könnt, ich bin der Gott, der über euch verfügt.“ Er hat zwar mehrere Bündnisse mit den Menschen geschlossen, Zusagen und Verheißungen gemacht, aber er hat letztlich die Definitionsmacht, wann und wie er etwas geschehen lässt. Es gibt letzte Dinge, die er sich vorbehalten hat und die nicht mal sein Sohn weiß. Mit dieser Spannung müssen wir leben und können nur auf seine Gnade hoffen, dass er uns zur rechten Zeit nahe ist und in Geduld warten, wenn wir mal Zeiten der Gottesferne aushalten müssen. Dabei ist allerdings nicht gesagt, dass Gott uns wirklich fern ist. Vielleicht schweigt er einfach nur für eine Zeit. Denn Gott ist nie fern oder nah; er ist immer fern und nah.
Tatsache ist jedoch, dass Gott sich auf jeden Fall deutlich verständlich macht, wenn es sein Wille ist, dass jemand einen bestimmten Auftrag erfüllt, wie z. B. bei Abraham oder Mose. Da helfen auch keine Ausreden, kein wegducken, keine Flucht, wie bei Jona. Und wenn es sein muss, dann macht er einen Saulus zum Paulus. Gott setzt seinen Plan auf jeden Fall durch. Es gibt nichts, was ihn davon abhalten könnte. Er ist souverän und allmächtig. Aber obwohl er machtvoll eingreifen könnte, geschieht sein Wirken meist leise und im Verborgenen.
Nun stellt sich noch die Frage: Wie viel Gottesferne können wir vertragen? Wie und wie lange hält man das aus? Wer sich zu ihm hält, der darf sicher sein, dass Gott ihn nicht vergessen hat, auch wenn die Lebensumstände widrig sind und die Fragen nach dem Warum immer größer werden. Er mutet keinem mehr zu, als er tragen kann. Wir können auch in schwierigen Zeiten auf seine Liebe und Gnade vertrauen. Aber das kann schon mal an die Grenzen der Kräfte und des Glaubens gehen. Dann ist es gut und hilfreich, wenn man in einer Gemeinschaft von Christen Halt finden kann.
Und nun die umgekehrte Frage: Wie viel Nähe Gottes können wir vertragen, je mehr, desto besser oder gibt es Grenzen? Wenn wir an die Berufung von Jesaja denken, der in einer Schau vor den Thron des heiligen Gottes geführt wurde und der Todesangst bekam angesichts der Heiligkeit Gottes, dann wird deutlich, dass es in unserem jetzigen Zustand gefährlich, ja tödlich wäre, wenn uns Gott zu nahekommt. Selbst Mose durfte Gott nicht sehen und ihm nicht zu nahekommen. Obwohl wir „wenig niedriger“ sind als Gott, gibt es doch gewaltige Unterschiede zwischen Schöpfer und Geschöpf. Wir sind zeitlich, räumlich, physisch und intellektuell begrenzt. Gott ist ewig, überall, allmächtig und allwissend.
Deshalb sollten wir uns hüten zu versuchen, uns Gott auf eine zu vertrauliche, plumpe Art anzunähern. Gott ist nach Jesu Wort unser Vater im Himmel, aber er ist zugleich eine Respektsperson, der in Ehrfurcht zu begegnen ist. Weder eine plumpe Vertraulichkeit, noch eine zu distanzierte Ehrfurcht sind angebracht. Ob wir den Eindruck haben, Gott ist uns nah oder fern, unsere Haltung sollte von einem liebevollen Respekt geprägt sein. Und eins ist sicher: Gott ist ein Gott der Gemeinschaft, er sehnt sich nach seinen Kindern und hat durch Jesus Christus alles gegeben, um diese Gemeinschaft zu begründen, zu erhalten und in alle Ewigkeit zu sichern.